Profi-Fußball, ich verabscheue dich

Die Pandemie Corona stellt uns als Fußballfans vor besondere Herausforderungen. Zumindest ich hatte mich damit abgefunden, dass Spiele unter Ausschluss von Fans trotzdem stattfinden und der Ligabetrieb weiterläuft. Immerhin hatte die Liga früh ein Hygienekonzept vorgelegt und schien recht strikt im Umgang mit Corona. Die letzten Wochen haben mir allerdings den Zahn gezogen. Ich kann mir diesen Scheiß nicht mehr antun. Zu viele Vorfälle sind rund um den kommerziellen Fußball passiert, die bei mir dazu geführt haben, dass ich dem Ganzen kaum mehr Freude mehr abgewinnen kann. Ich habe abgeschaltet. Und zuletzt auch beim FCA nicht mehr so oft eingeschaltet. Eine unvollständige Zusammenfassung:

Auf die Gesundheit der Spieler wird geschissen

Wo soll man anfangen? Juventus Turin hatte Álvaro Morata in der Champions League eingesetzt, obwohl er noch nicht wieder vollständig von einer Grippe genesen war. Das Resultat: Morata brach ohnmächtig nach dem Spiel zusammen. Ein unverantwortlicheres Handeln von Trainern und Ärztestab ist kaum vorstellbar. Und das ganz ohne Covid-19.

Von der Club WM in die Quarantäne. (Photo by Gaston Szermann/DeFodi Images via Getty Images)

Der Virus spielt aber doch auch im Alltag der Profifußballer eine prominente Rolle, so gerne das öffentlich ausgeblendet wird. Nachdem beim FC Augsburg der letzte Infektionsfall schon etwas länger her ist, ging es allerdings beim FC Bayern München ordentlich rund. Nachdem sich Leon Goretzka und Javi Martinez schon vor einer Weile infizierten, war bei der Club WM in Katar Thomas Müller an der Reihe. Kurz danach wurde Benjamin Pavard positiv getestet. Gerade mit den Virusmutationen, die sich mittlerweile im Umlauf befinden, werden weitere Ansteckungen noch realistischer. Anstatt ein Team in Gruppenquarantäne zu stecken, wird leichtfertig die Gesundheit inkl. langfristiger Folgen vieler weiterer Spieler und Beteiligter aufs Spiel gesetzt. Dies hat sich gerade auch wieder beim Länderspiel gegen Island gezeigt. Es gab einen positiven Test bei der Nationalmannschaft. Mehr als ein einzelner Kontakt ersten Grades war nicht ausfindig zu machen (und es versteht auch keiner warum das bei anderen Sportarten anders ist). Es ist fahrlässig.

Wenn da jemals Demut war

Und grundsätzlich war da von Seiten der Verantwortlichkeiten dann schon mal von Demut die Rede. Die Aussagen vieler Verantwortlichen hat dem Realitäts-Check nicht standgehalten. Klar, an der Speerspitze findet sich auch hier wieder der FC Bayern München. Es wäre ja auch mal positiv überraschend, wenn nicht jedes Klischee komplett erfüllt würde. Da wird eine Teilnahme an einer Club WM in Katar grundsätzlich und auch in diesen Zeiten schon nicht mehr hinterfragt. Anstatt dessen, wird dann von Hansi Flick die Bedeutung des eigenen Jobs überhöht. Mann, Du bist verdammt noch mal Fußballtrainer im Profibereich. Jede Krankenschwester trägt mehr Verantwortung als Du. Du kannst ja noch nicht mal dafür sorgen, dass sich nicht dein halbes Team mittlerweile an Corona angesteckt hat. Und ich hoffe, dass keiner dieser Spieler langfristig gesundheitliche Schäden davon trägt, für die Du dann mit verantwortlich bist.

Hansi Flick: von der Realität sichtlich entfernt (Photo by DANIEL ROLAND/POOL/AFP via Getty Images)

Aber auch die anderen Clubs lassen sich gerade im internationalen Zirkus einspannen. Da werden dann schon mal galant Heimspiele ins Ausland verlegt, damit sie überhaupt stattfinden können, so geschehen beim Leipziger Konstrukt und Borussia Mönchengladbach. Max Eberl hatte in der Zuschauer-Debatte noch Union Berlin zur Demut aufgerufen. Während der Einzelhandel weiter geschlossen bleibt, die Friseure nicht öffnen durften und wer weiß wie viele Gastronomen das Handtuch werfen mussten, wird dann halt Champions League in Budapest gespielt. The Show must go on. Wir sind an dem Punkt, wo ich bei all diesem weltfremden, abgehobenen Gedöns nur noch kotzen muss. Warum es dann in diesen Zeiten überhaupt Länderspiele braucht, sind die kritischeren Menschen müde geworden zu hinterfragen. Man kommt ja mit dem Hinterfragen auch nicht mehr hinterher.

Die fehlende Vorbildfunktion

Derweil stehen die Teams in der Öffentlichkeit und das Handeln von Spielern und Verantwortlichen hat automatisch Strahlkraft. Die Politik hat es bis jetzt schon nicht hinbekommen, Unternehmen in die Verantwortung zu nehmen, dass Jobs, die definitiv im Home Office ausgeführt werden können, auch wirklich von dort erledigt werden. Egal, ob das Büro dann leer aussieht oder der Chef auch wirklich darauf vertraut, dass zu Hause gearbeitet wird.

Die Party endete nicht auf dem Platz. Ein Bewusstsein für die allgemeine Lage war anscheinend nicht vorhanden. (Photo by LEON KUEGELER/POOL/AFP via Getty Images)

Da führt das Verhalten der Fußballer zwangsläufig dazu, dass ich mir zu Hause denke: “Wenn die sich nicht einschränken, warum sollte ich denn”. Viel größer könnte man den Graben zwischen dem Fan zu Hause und dem Geschehen rund um die Stadien der Republik nicht mehr ziehen. Oder man scheißt zusammen auf alle Regeln und feiert ohne Rücksicht auf irgendeine Regel zusammen einen Derby-Sieg. Wie viel Ignoranz gegenüber der Gesamtsituation kann man denn haben? Kritisch kann man anmerken, dass auch Feierfotos beim FCA hier nicht positiv herausstechen. Wie vieles in der Außensicht wirkt, ist den Beteiligten dabei oftmals wohl nicht mehr bewusst. Sonst gäbe es nicht auch zur letzten “Human Rights”-Aktion noch ein Filmchen.

Die prekären Arbeitsverhältnisse der Jugendtrainer

Dabei ist der Fußball schon lange eine Industrie, die die Hoffnungen und die Begeisterung der Beteiligten für die schönste Sache der Welt schamlos ausnutzt. Ronald Reng hat mit “Mroskos Talente” ein Buch geschrieben, in dem das vor allem für den Scoutingbereich transparent wird. Ähnliches hat nun WDR im Format Sport inside für die Jugendtrainer aufgedeckt. Die Jugendtrainer selbst in den Nachwuchsleistungszentren der Bundesliga sind dabei oft als Mini Jobber angestellt. Geltendes Arbeitsrecht wird teilweise nicht eingehalten. Leider ist auch der FCA hier keine Ausnahme. Während man den Mitgliedern ans Herz legt über eine Vereinsmitgliedschaft in die Jugend zu investieren, ist die Bezahlung der Jugendtrainer auch in Augsburg unterirdisch. Johannes Graf hat in der Augsburger Allgemeinen aufgezeigt, dass 120 Stunden Arbeit in manchen Fällen nur 600 Euro Gehalt gegenüberstanden. Das ist schlicht nicht okay.

Die Sippenhaft

Jetzt könnte man ja mit dem Fingerpointing anfangen. Es sind ja immer nur die anderen. Klar abgegrenzt wird sich aber auch nicht. Und so gibt es zwar immer noch die positiven Momente rund um den Fußball, wenn sich z.B. eine große Zahl von Fußballprofis angestoßen durch die 11 Freunde öffentlich gegen Homophobie positioniert oder Eintracht Profis an die Opfer in Hanau erinnern. Die große Ausnahme, durch die klar werden würde, dass das System nicht vollkommen zerbrochen ist, sehe ich in meiner momentanen Stimmung allerdings nicht. Denn wenn die Verbände oder großen Vereine voran gehen, dann läuft der Rest wie die Lemminge hinterher. Kurz – zu Beginn der Pandemie – hat der Fußball seine gesellschaftliche Sonderstellung verteidigen müssen. Fast ein Jahr später, hat er sie durch das Verhalten der allermeisten Verantwortlichen unter den Bus geworfen. Das Tüpfelchen auf dem i kommt in der kommenden Woche, wenn abseits der Öffentlichkeit die Champions League reformiert wird und die Unterschiede, zwischen groß und klein noch größer werden. Wenn Max-Jacob Ost auf Twitter nicht darauf hingewiesen hätte, wäre es auch mir nicht aufgefallen. Teilnehmen an der Abstimmung darf mit Rainer Koch für Deutschland ein alter Bekannter.

Ich habe den Fußball und seine Rolle lange verteidigt. Zu viel Gutes könnte er anstoßen. Zu sehr hat er auch mich in der Vergangenheit mit anderen Menschen zusammengebracht. Zu viele tolle Erlebnisse beschert. So, wie das im Moment läuft, verfolge ich momentan lieber esports. Dort wird die Gesundheit der Aktiven nicht fahrlässig aufs Spiel gesetzt und die Spieler sind Leute wie Du und ich, für die nicht jeden Tag eine neue Sonderregel gefunden werden muss. Am Ende wird es wohl grundsätzlich weniger Fußball. Denn mit den Menschen, die ich über den Fußball kennen gelernt habe, kann ich mich auch gut über Bücher unterhalten oder, wenn Corona es wieder erlaubt, ein Eis essen gehen. Und aus der Distanz, vielleicht im Radio, ein Spiel verfolgen. Der Weg zurück wird immer weiter.

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