Eine Mannschaft ohne Identität

Was hatte ich mich auf das Spiel in Frankfurt gefreut. Es war ingesamt eine bemerkenswert schlechte Woche für mich. Erst war ich krank und danach kamen vor allem arbeitsbedingt schwierige Nachrichten auf mich zu, mit denen ich umgehen musste. Eine Woche, in der ich meinen Kompass auf Freitagabend ausgerichtet hatte. Hoffnungsfroh nach der zweiten Halbzeit gegen Bremen, in der mein liebster FCA einen Rückstand gedreht und das Spiel gewonnen hatte. In Frankfurt hatte die Mannschaft in der letzten Saison auch ein wundervolles Erfolgserlebnis gefeiert. Ich war im April live dabei und so fieberte ich zusammen mit meiner Crew auch dieses Mal frohen Mutes dem Spiel entgegen. Ich habe nicht nach den ersten Rückschlägen aufgegeben. Am Abend stand ich pünktlich auf der Tribüne, die Augen aufs Ziel gerichtet.

Für Glanz und Gloria

Wir liefen in der Februarkälte zum Stadion. Es war klar, dass es ungemütlich werden würde. Es war klar, dass die Frankfurter nach den ersten Spielen der Rückrunde und dem Pokalsieg gegen Leipzig Selbstvertrauen getankt hatten. Umso größer war die Aufgabe, umso größer wäre der potentielle Sieg am Ende des Abends zu werten, umso beschwingter würden wir das Wochenende erleben und kurz den grauen Alltag und unsere Probleme vergessen können. In der ersten Halbzeit wurden unsere Erwartungen auch noch erfüllt. Die Mannschaft hatte Chancen, die sie nicht zu nutzen wusste (oder die Kevin Trapp leider großartig vereitelte) und die Eintracht kam nach ca. 40 Minuten zu einfach zum Führungstreffer. Es stand wie in der Vorwoche gegen Bremen 0:1. Alles war noch drin. Der Rückstand würde die Geschichte nur noch besser machen. Eine weitere Legende, die wir unseren Kindern und Enkeln erzählen könnten. Was danach folgte, kann nicht anders als ein Offenbarungseid bezeichnet werden.

Ihr werdet die feiernden Frankfurter wieder los. Mich werden sie eine ganz Weile verfolgen. Habe ich erwähnt: ich wohne in Frankfurt. (Photo by Jörg Halisch/Bongarts/Getty Images)

Nun ist noch nicht viel Zeit vergangen seit diesem traumatischen Erlebnis und ich bin in dieser Saison vorgeschädigt. Ich war auch schon in Gladbach auswärts dabei. Da ging das Spiel 5:1 für die Gladbacher aus, und die erste Halbzeit in Gladbach sah der zweiten in Frankfurt in mancher Hinsicht sehr ähnlich. Es war auch kalt, aber in Gladbach regnete es dazu noch. Ich vertrete auch die Meinung, dass ich eine persönliche Erklärung dafür verdient habe, was in diesen zwei Auswärtsspielen passiert ist. Aber nachdem die Erklärungen bisher äußerst mau sind, will ich mal anfangen zu erzählen, was gestern – mal wieder – passiert ist. Und zu welchen Einschätzungen ich gelangt bin.

Die Taktik

Adi Hütter, der Frankfurter Trainer, hat sehr gut erkannt, wie man uns Augsburgern momentan das Leben schwer machen kann. Wenn wir wie gegen Frankfurt mit Finnbogason/Niederlechner in der Kombination spielen, dann erzeugt das eine dauerhafte Unterzahl im zentralen Mittelfeld. Baier und Khedira standen Ilsanker, Kohr und Gacinovic gegenüber. Das Frankfurter Trio ist dabei so körperlich und aggressiv, wie man es sich nur vorstellen kann. Das Ergebnis war, dass wir gerade im Spiel mit dem Ball diesen zu schnell verloren, und Frankfurt dann im eigenen Spiel mit dem Ball durch Verlagerungen auf die Flügel und eintrainierte Spielzüge eine Überzahl schnell ausnutzen konnte.

Eine Folge dieses Problems ist auch, dass Frankfurt ca. 60% der Zweikämpfe gewonnen und mehr Fouls gespielt hat. Wir sind, wie z.B. gegen Union Berlin, nicht in die Zweikämpfe gekommen und haben diese weniger aggressiv geführt. Martin Schmidt hat dann Finnbogason aus- und Löwen eingewechselt, um im zentralen Mittelfeld stabiler zu stehen und damit überhaupt eine Chance im Spiel zu haben. Allein, es war schon zu spät. Und gegnerische Mannschaften wissen mittlerweile, dass man uns durch Körperlichkeit und Aggressivität aus dem Konzept bringen kann. Darauf müssen wir uns in den nächsten Spielen einstellen. Der Trainer kann seinem Team helfen, wenn er in zentralen Bereichen des Feldes, Wege findet, um diese Unterzahlsituationen zu vermeiden.

Die Reaktion auf das zweite Tor

Die Niederlage rein der taktischen Ausrichtung anzulasten, wird schwierig. Gerade auf den Flügeln hätten wir Möglichkeiten gehabt, um für Unruhe in der Frankfurter Hintermannschaft zu sorgen und unsere beiden zentralen Abschlussspieler hätten potentiell ja auch mehr zum Abschluss kommen können. Nachher ist da immer ein jeder schlauer. Was allerdings hilfreich gewesen wäre, ist, deutlich länger ohne Gegentor zu bleiben bzw. das Spiel offen zu halten. Die beiden ersten Gegentore waren nicht besonders extravagant herausgespielt, sondern sind individuellen Fehlern zuzuschreiben.

Timothy Chandler konnte sein Glück nicht fassen. Er profitierte von den Lücken in der Augsburger Abwehr. (Photo by Jörg Halisch/Bongarts/Getty Images)

Beim ersten Tor kommt der Ball zu Chandler, der sich im Vergleich zu seinem Gegenspieler überaus filigran dreht und dann sehr gut abschließt. Die Fehlerkette vom Ballverlust bis zum Tor war lang. Das zweite Gegentor fällt dann, weil wir einen Standard schlecht verteidigen. Beide Tore weisen auf Unkonzentriertheiten hin. Auf diesem Niveau kann man sich solche Fehler nur selten erlauben.

Große Freude bei der Eintracht. Möge sie in dieser Saison anhalten und wir uns nächstes Jahr revanchieren. (Photo by Jörg Halisch/Bongarts/Getty Images)

Entscheidender ist allerdings die Reaktion danach. Es ist nicht so, dass es dann auf dem Platz mal lauter wird. Das jemand den anderen anschreit und wachrüttelt. Durch Körperlichkeit ein Zeichen setzt. Sich ne gelbe Karte abholt und ein Ruck durchs Team geht. Geschlossen wird dann aufgehört zu spielen. Führungsspieler sind untergetaucht. Gibt es eine Struktur im Team und wer übernimmt dann die Verantwortung?

So kassiert man dann das dritte Gegentor (wie frei der Frankfurter einköpfen konnte. Wahnsinn). Dazu kurz vor dem Ende die Tore vier und fünf. Was ich von der Tribüne aus nächster Nähe beobachten konnte, war der mentale Zusammenbruch des gesamten Teams. So als würde ich nach 6 Stunden eines beschissenen Tages aufhören zu arbeiten und aufgeben. Kein Verhalten mit dem man sich als Fan identifizieren kann, wenn man sich die ganze Woche im Alltag abgemüht hat. Mit solch einer Einstellung wäre ich am Freitag überhaupt nicht erst auf der Tribüne gestanden. Solches Verhalten will ich in rot-grün-weiß nicht sehen.

Eingeständnis des Versagens

“Einmal ist keinmal und zweimal ist einmal zuviel” hat einer meiner Lehrer in der Schule früher gesagt. Und so könnte man dieses Spiel leicht abhaken, wenn ein solcher Zusammenbruch nun das erste Mal vorgekommen wäre. Martin Schmidt ist nun seit April letzten Jahres im Amt. Aus dem Stand kann ich die Zusammenbrüche seines Teams schon gar nicht mehr alle rekapitulieren. Das 1:8 in Wolfsburg am letzten Spieltag der letzten Saison ging uns noch recht am Arsch vorbei. Es war das erste Mal. Am ersten Spieltag die zweite Halbzeit in Dortmund war dann schon schlimmer. Dann kam das 1:5 in Gladbach und jetzt wieder ein 0:5 in Frankfurt. Wenn Martin Schmidt in der Pressekonferenz behauptet, dass die zweite Halbzeit gegen Frankfurt die bisher schlechteste der Saison war, dann gab es zumindest schon hochkarätige Konkurrenz in seiner Amtszeit.

Bilder eines Zusammenbruchs. Ich bin so leid sie zu sehen. Diese Zusammenbrüche müssen ein Ende haben. (Photo by Jörg Halisch/Bongarts/Getty Images)

Martin Schmidt hat in der besagten Pressekonferenz deutliche Worte in Richtung Mannschaft gefunden: “Das war eine Katastrophe. Zuerst den Schneid abkaufen lassen in Sachen zweite Bälle, Zweikampfführung. Dann irgendwann auch die Mentalität abkaufen lassen. Und am Schluss noch ne Packung gekriegt. Heute war keiner der Spieler, außer vielleicht der Torhüter, gut. Und wenn alle Spieler nicht gut sind, dann ist meistens der Grund im mentalen Bereich zu suchen. Was war los mit der Konzentration in der zweiten Halbzeit? Was war los mit dem Team nach dem 2:0? Da war wieder der Stecker gezogen. Warum fallen wir in uns zusammen?”

Als ich die Aufzeichnung der Pressekonferenz am Tag nach dem Spiel gesehen habe, ging mir direkt die Hutschnur hoch. Ja, was war denn los, Martin Schmidt? Das ist doch dein Team, das da auf dem Rasen steht. Deine Mannschaft, die deine Mentalität als Führungskraft widerspiegelt und die Werte, die du vermittelst. Diese Klatschen sind nun mehrmals vorgekommen. Mehr als einmal. Einige Male zu viel. Es ist unerträglich. Und Du bist dafür verantwortlich.

Resilienz

An dieser Stelle müssen wir uns mit Resilienz beschäftigen. Resilienz bedeutet psychische Widerstandskraft – und insofern gebe ich Martin Schmidt Recht, als dass die Probleme im mentalen Bereich liegen. Wie widerstandsfähig ist die Mannschaft bzw. die einzelnen Spieler in schwierigen Situationen? Die Klatschen deuten darauf hin, dass die psychische Widerstandsfähigkeit gesteigert werden muss. Die Spieler müssen auf diese schwierigen Situationen vorbereitet werden, so dass sie die Situation erkennen und richtig reagieren können. Ihre gewünschte Option A: “Das Spiel gewinnen” gerät ins Wanken. Es ist wichtig, dass den Spielern in diesen Situationen bewusst ist, dass sie ihre Option B dann immer noch gestalten können. Option B könnte enden als “Klatsche und Schmach” oder als “Aufgebäumt, alles reingeworfen und knapp verloren”.

“Aufgeben und überfahren lassen” ist keine Option B, die tolerierbar ist. Einsatz und Kampf bis zum Abpfiff ist das, was jede Option B beinhalten muss. Und das ist im mentalen Mindset der Spieler abhanden gekommen. Fußball ist eben keine rein körperliche Angelegenheit. Auch die mentale Ausbildung der Spieler ist von einiger Bedeutung. Gerade mit unserem jungen, neu zusammengestellten Kader scheint die Ausbildung der Mannschaft in diesem Bereich noch verbesserungswürdig zu sein. Es ist mir wichtig an dieser Stelle festzuhalten, dass ich nicht glaube, dass die Mannschaft oder einzelne Spieler nicht wollen. Sie haben in schwierigen psychologischen Situationen unter erheblichem Druck “nur” nicht gut reagiert. Sie brauchen weiterhin Unterstützung und Aufmunterung. Es macht keinen Sinn sie auszupfeifen bzw. zu beschimpfen. An den Problemen kann man arbeiten. Muss man arbeiten.

Fehlerkultur

Dazu kommt, dass wir zur einer gesunden Fehlerkultur zurückfinden müssen. Und damit meine ich nur am Rande, dass wir in der Lage sein müssen, Fehler einzugestehen. Die Mannschaft hat aus meiner Sicht kein Problem damit zuzugeben, dass sie am Freitag ihre Leistung nicht gebracht hat. Die Jungs sind quasi geschlossen in der Kurve gestanden und haben sich die direkten Reaktionen der Fans angehört und sich für den Support bedankt. Was da teilweise von den Rängen kam, war deutlich unter der Gürtellinie. In den Stunden der Niederlage zeigt sich dann doch am ehesten, wer zu einer menschlichen Reaktion auf Fehler in der Lage ist und da haben im Block doch einige versagt.

Ich beziehe diesen Punkt trotzdem eher auf die Rotation in der Mannschaft. Auch wenn die ersten Spiele nicht besonders prickelnd waren, so hat Martin Schmidt prinzipiell an seiner Stammmannschaft festgehalten. Individuelle Fehler sind menschlich und prinzipiell in Ordnung. Gehäuft müssen sie allerdings Konsequenzen haben. Die Spieler aus der zweiten Reihe müssen darauf drängen sich beweisen zu dürfen. Und diejenigen, die zum Einsatz kamen, müssen für gehäufte Fehler die Konsequenzen tragen und auf der Bank Platz nehmen. Irgendeinen Vorteil muss der große Kader haben, bei dem die Leistungsdichte so hoch ist wie nie. Zumindest gingen wir davon bisher aus. Ob es Martin Schmidt in diesem Kader schafft den Konkurrenzkampf hoch zu halten, müssen wir noch abwarten. Aber vielleicht sind die Unkonzentriertheiten auch darauf zurückzuführen, dass man sich in der Mannschaft durch den fehlenden intensiven Konkurrenzkampf nicht zu Topleistungen pusht?

Besser gegen Freiburg

Alles in allem steht nicht zu befürchten, dass es gegen Freiburg weiter geht, wie es gegen Frankfurt aufgehört hat. Martin Schmidt hat die Schwere der Niederlage erkannt. Fehler wurden von ihm in der taktischen Einstellung als auch von den Spielern auf dem Feld gemacht und der Spielverlauf hat uns nicht in die Karten gespielt. Wer weiß, was mit einem frühen Führungstor möglich gewesen wäre. Mit 26 Punkten haben wir immer noch 8 Punkte mehr als in der letzten Saison (und 5 weniger als vor zwei Jahren). Es läuft nicht alles optimal, aber doch einiges richtig.

Wir werden wieder Feiern, das ist klar. (Photo by Christian Kaspar-Bartke/Bongarts/Getty Images)

Mir ist dabei besonders wichtig, dass diese Mannschaft die sportliche Identität des FC Augsburg wiederfindet, so dass man sich als Fan auf der Tribüne mit den Jungs auf dem Rasen jederzeit identifizieren kann. Verlieren ist nicht schlimm, genau wie einzelne Fehler. Und ich tausche mit jedem Spieler Hoody gegen Trikot nach einem Spiel in der Kälte. Aber bei allem was mir an dieser Sache liegt: dafür müssen alle 100% geben in den 90+X Minuten des Spiels. Und am Freitag nach dem Spiel hätte keiner auf der Tribüne eines dieser Trikots gewollt. Weil es einem das Herz bricht, wenn die eigene Mannschaft ihre und damit unsere Identität mit Füßen tritt. Und so muss dieses Team nun erst wieder herausfinden, für was es steht. Man will ihnen zurufen: Wir sind für euch da. Schaut uns an und kämpft für uns. Mehr braucht es doch nicht.

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