Wie der Fußball seine Unschuld verlor

Fußball ist ein Produkt, was sich in den letzten Jahren immer bester Nachfrage erfreut hat. Ausverkaufte Stadien im ganzen Land und die Gesamtzuschauerzahl in der Bundesliga ist nur gesunken, wenn Teams mit großen Stadien (Stuttgart, Hannover) ab- und dafür Teams mit kleinen Stadien (Darmstadt, Ingolstadt) aufgestiegen sind. Bzgl. mancher Vereine ist die Nachfrage weiterhin so groß, dass man ein Abebben des Interesses am Fußball generell nicht an den Zuschauerzahlen erkennen kann. Die Stadien in Dortmund, München oder Schalke sind – zumindest im Moment noch – ausverkauft, egal was passiert.

Derweil sieht das bei kleineren Vereinen anders aus. In Augsburg betrug die Auslastung in der letzten Saison bei Bundesligaspielen 94,7%. Da war generell nicht mehr viel Platz im Stadion. Die Auslastung ist nun gesunken auf 89,1 Prozent in dieser Saison. Der Unterschied mag nun nicht nach viel klingen, aber in dieser Saison waren schon zweimal weniger als 26.000 Zuschauer im Stadion, während das in der letzten Saison nie passiert ist. Der Durchschnitt wird durch die Heimspiele gegen die Bayern und Schalke 04 weiterhin hoch gehalten, die bisher immer ausverkauft waren. Dazu kommt, dass uns ein weiteres Freitagsspiel und das Spiel in der englischen Woche gegen Ingolstadt noch bevorstehen, die beide nicht ausverkauft sein werden.

Aber woran liegt das? Der FC Augsburg hat weiterhin seine sportlich beste Saison mit der Teilnahme an der Europa League hinter sich. Sportlich stehen wir auch jetzt ungefähr auf dem Tabellenplatz, auf dem wir die letzte Saison beendet haben (gerade Platz 13, Ende der letzten Saison Platz 12). Die Augsburger Allgemeine hat schon im Sommer gefragt, ob das Interesse am FC Augsburg geringer wird. Als mögliche Gründe wurden hier das ausgefallene Fanfest, eine unglückliche Außendarstellung und schlicht Langeweile angeführt. Das mag alles seinen Teil beitragen.

Allerdings liegt das Problem für mich tiefer. Der Fußball an sich verliert für mich gerade etwas sehr wichtiges: die Unbeschwertheit. Ich habe kein Problem damit anzuerkennen, dass ich durch die WM 2006 wieder zum Fußball zurückgefunden habe. Wie die WM zu Stande kam, wird hier bewusst nicht behandelt und auch welche Rolle die Fifa generell einnimmt. Dennoch ist 2006 für mich etwas passiert, was für den Fußball aus meiner Sicht sehr wichtig war. Es ist die Freude am Spieltag zurückgekehrt. Die Welt war zu Gast bei Freunden und egal bei welcher Paarung hat man mit wildfremden Menschen ein Fest gefeiert. Dabei sind zwar auch viele Betrunkene unterwegs und es geht ab und an unfreundlich zu, aber das hat mich bisher nicht entscheidend gestört.  Der Eventcharakter hat eben auch beinhaltet, dass ich im Stadion bisher keine Angst hatte und unbeschwert aus dem Alltag ausbrechen konnte. Nach der WM 2006 habe ich zum FCA gefunden und freue mich seitdem auf jedes Spiel im Stadion.

Die Ereignisse in den letzten Wochen werfen hierauf einen Schatten. Welche Ereignisse meine ich konkret:

Und während ich hier sitze, überlege ich mir zwar auch, wie die Spiele am Nachmittag ausgehen werden, hoffe aber hauptsächlich, dass das Ganze mal ein Ende findet. Die Frage ist doch dabei: Wird es das? Aufgelistet sind nur die Ereignisse der letzten beiden Wochen, die ich mitbekommen habe. Viel wurde darüber diskutiert, wie Vereine und Fans dafür bestraft werden, was in diesem Zusammenhang passiert. Wer allerdings über die Bestrafung dieser Sachverhalte nachdenkt, der sollte sich im gleichen Atemzug Gedanken machen, was proaktiv unternommen werden kann, damit so etwas nicht mehr passiert bzw. die Situation nicht weiter eskaliert. Und damit meine ich konkret nicht eine Erhöhung des Polizeiaufgebots und der Ordnerzahl. Dies wäre vergleichbar mit dem Fieberzäpfchen gegen Grippesymptome – es löst das Problem selbst nicht. Wenn ein gewisser Handlungsrahmen in der Umgebung von Fußballspielen regelmäßig verlassen wird, dann wird der Sport etwas von seinem derzeitigen Stellenwert einbüßen. Für mich konkret bedeutet dies, dass ich evtl. weniger Spiele besuche. Ich bin früher regelmäßig alleine auswärts gefahren, weil ich recht isoliert wohne und habe mir kaum Sorgen gemacht. Darüber denke ich mittlerweile öfters nach, v.a. da rund um Augsburger Spiele manchmal nicht viele andere individualreisende, unorganisierte Fans unterwegs sind. Ob ich mir in diesen Situationen vorstellen kann, meine kleine Tochter mitzunehmen? Schwierig.

Deshalb sollten sich Fans und Vereine Gedanken machen, wie sie an der derzeitigen Situation etwas ändern können. Ich will im Hinblick auf die Augsburger Situation ein paar Gedanken und Ideen aufschreiben. In Augsburg bringt dabei Augsburg Calling schon seit längerem regelmäßig die unterschiedlichen Fanlager zusammen. Dennoch könnte und sollte mehr passieren:

  • Rund um das Stadion gibt es kaum mögliche Treffpunkte. Der Neubau auf der Wiese hat (u.a. wie in Mainz oder Gladbach) dazu geführt, dass man direkt ins Stadion geht, um dort im Fanzelt oder Block zusammen zu kommen. Jetzt soll zig Jahre nach Eröffnung eine Fankneipe entstehen. Aber auch das ist noch zu wenig. Der Verein sollte sich auch zusammen mit anderen Akteuren Gedanken machen, wie die Situation um das Stadion herum verbessert werden kann.
  • Im Stadion herrscht dann nämlich strikte Fantrennung. Der Gästeblock ist komplett umzäunt und Heim- und Gastfans treffen nicht aufeinander. Ich halte diese Käfighaltung grundsätzlich für provokant und würde mir wünschen, dass dies nur in besonderen Ausnahmefällen bzw. bei ausgewiesenen Risikospielen der Fall ist. Das Gästefans zusätzlich nur alkoholfreies Bier bekommen führt auch dazu, dass diese vorher stoßbetanken. Ziel nicht erreicht.
  • Ich werde an dieser Stelle nicht müde mich zu wiederholen, dass ich mir die Rückkehr der ermäßigten Tageskarten in Kombination mit scharfen Kontrollen der entsprechenden Berechtigung wünsche. Wenn wir weitere sozial schwächere von den Spielen ausschließen,  dann ist das eine Enttäuschung.
  • Bei den nächsten Marketingbemühungen sollte dann evtl. der Satz “, denn Fußballfreundschaft ist für uns Pflicht.” in den Mittelgrund gerückt werden. Wie beim Grundgesetz, sollte auch bei der Vereinshymne jede Zeile gleichberechtigt neben den anderen stehen. Es wäre eine willkommene Abwechslung zur 37. Trikot-Rabattaktion.
  • Und wenn wir dann schon dabei sind, dann dürfte der Verein gerne selbstständig mehr für die Augsburger tun. Abseits der Interessen eines Wirtschaftsunternehmens sollte sich der Verein langfristig überlegen, wie er seinen Teil zum Augsburger Zusammenleben beitragen kann. Da braucht es erst einen neuen Torhüter in Person von Andreas Luthe der durch seinen Stiftung “In Safe Hands” etwas auf die Beine stellt. T-Shirts in Augsburg produzieren zu lassen anstatt in China wäre ja schon mal ein erster Schritt.

Schlussendlich ist mittlerweile eine Zeit gekommen, in der einem der Gedanke kommen mag, den Fußball etwas zu vernachlässigen. Ich sehe das genau anders herum: es ist die Zeit gekommen, das Engagement noch zu erhöhen und den Fußball nicht den Idioten zu überlassen. Der Fußball hat immer noch sehr viele positive Aspekte, die er in den Menschen hervorbringt. Und wenn ich nächste Woche ins Jonathan-Heimes-Stadion am Böllenfalltor fahre, dann meine ich nur in zweiter Linie die Liebe zum Spiel. Und ich weiß: Wir müssen kämpfen.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen